Samstag, 27. Mai 2006

Daheim

Daheim
Der Alltag holt ein.
Bewahrt die Erinnerung;
Hoffnung, sie baut auf.

Einzelne Szenen
verankern sich im Gehirn
wie Albums Bilder.

Verletzungen gibt’s,
Tote, was Kreuze zeigen,
niemand schreckt das ab.

Nicht nur das Foto
bannt die Momentaufnahme.
Der Geist speichert mehr.

Was wär’ das Leben
ohne die Erinnerung.
Der Weg gibt Hilfen.
Nachbetrachtungen

Meinen Geist setze der Weg in Bewegung in Form von Gedichten, in Form von Gedanken, die mir bei der Erläuterung von ihnen kamen. Sicherlich treffe ich mit letzteren nicht den Geschmack des eine und anderen. Ich schrieb, wie ich bin, den Humor nicht vergessend, mit dem Schalk im Nacken. So freue ich mich auf die Fortsetzung meiner Reise nach Santiago de Compostela. Sie soll Ende September 2006 stattfinden, da möchte ich wieder eine kleine Strecke weiterlaufen. Vielleicht werde ich später, nach der Ankunft der letzten Jahres-Etappe, die Strecke am Stück noch mal gehen. Mit 7o will ich in Rente. Dann hätte ich Zeit. Wer geht dann mit, Notarzt und Krankenschwester?


Ich kann’s verstehen
wenn man den Weg mehrmals macht
nirgendwo gibt’s mehr.

Gemeinsamkeit schweißt,
Erfahrungen verbinden -
wie Dreck und Schönheit.

Strapaze gibt Kraft
oder ist’s die Linie,
die sie dupliziert?

Das Bild des Malers -
mit dem kleinsten Pinselstrich,
es entwickelt sich.

Auch unser Leben
besteht aus Bergen, Tälern,
vorgegeben ’s Ziel.

Wir wünschen uns Glück,
hektisch jagen wir ihm nach,
überseh’n Blumen.

Der Weg hinterlässt
als tiefe Erinnerung -
in Dir den Frieden.

Der Weg, hell strahlt er,
ihn halten Berge nicht auf -
verstecktes zeigt sich.

Der Weg zeigt uns auf
welchen wir gehen sollen -
Steine leiten uns.

Der Weg zeigt Landschaft,
die sich dauernd verändert -
Bewegung bewegt.

Der Weg – kein Ausflug -
er ist Einkehr zu sich selbst -
tiefe Versenkung.

Der Weg, Anspannung,
fordert das Letzte von uns -
kein Berg ist zu hoch.

Der Weg schaltet ab.
Im Gleichklang Körper und Geist -
weit rückt das Daheim.

Der Weg holt’s Denken
aus dem Alltag-Labyrinth -
man sieht die Blume.

Der Weg fokussiert
auf das, was man nicht mehr sah -
des Kindes Lächeln.

Der Weg befördert
zurück in die Einfachheit -
man baut Steinmännchen.

Der Weg verbindet
den Menschen mit der Natur -
wie sie lebt und fühlt.

Der Weg konzentriert
Gedanken hin zur Urform -
zu dem, der sie gab.

Der Weg ist das Ziel -
jeder hat sein eigenes -
sein Kraftfeld baut auf.

Der Weg ist Quelle
lädt jede Batterie auf -
wie ein Jungbrunnen.

Der Weg ist perfekt,
Wanderer sind wild auf ihn -
auf ihre Weise.

Der Weg, die Hitze,
sie schlaucht und macht doch noch stark -
wie der Liebe Pfad.

Der Weg ist magisch
wie auch mancher Leut’s Hände -
innen drin brodelts.

EN. 01.09.2006
(Fortsetzung folgt)
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Der Papst in Bayern

wurde mit Grüß Gott begrüßt,

sichtbar seine Spur.

Tief die christlichen Wurzeln,

auch die des Jakobsweges.

Sichtbar die Muschel

im Wappen des Vatikans,

der Bär trägt die Last,

Geduldig und demütig,

Pilger gehn gesenkten Haupts.

Die Sonne erhellt

sichtbar auch dunkle Wege.

Gleich vor ihr jeder.

Leg Herz in deine Schritte

und Liebe in dein Handeln.

Der heutige Besuch Benedikt XVI. in München war für mich sichtbarer Anlass

zu einer Gedichts-Verknüpfung zum Camino. So taucht wieder (zufällig?)

der hl. Vater in diesen Ausführungen auf.

EN., 9.9.6

Freitag, 26. Mai 2006

Bilbao

Bilbao

In dem kleinen Zelt
faszinierende Urform
von Wolkenkratzern.

Viele Wege gibt’s
keiner hat ein Ziel, doch was,
was ist, wenn man es erreicht?

Ich hörte von wem,
er sei 6x gelaufen.
Kam er an sein Ziel?

Ich sprach mit einem
der fuhr einst per Rad weit her -
nun geht er den Weg.

Eine erzählte
nach den Jahresetappen
ging sie von daheim.

Eine andere
will nun ohne Partner geh’n
ganz unabgelenkt.

Dieser Camino
unabhängig vom Alter
zieht er Menschen an.

Jakobsweg gehen
Menschen vom ganzen Globus
wieso nur, wieso?

Wegen der Pfeile
bedarf man keiner Karte.
Der Kopf ist Kompass.

Mann, 76,
schafft 30 km/Tag
wo kommt die Kraft her?

Beim Abflug nach Mallorca traf ich eine gut aussehende, gepflegte, ca. 40-jährige Pilgerin. Sie sei, sagte sie nach Befragung vage, aus dem Süden Stuttgarts. Daneben erzählte sie mir kleine Erlebnisse. Sie ginge jedes Jahr drei Wochen mit leichtem Gepäck. In Frankreich habe sie vor zwei Jahren begonnen. Nach dem Jahr ihrer Ankunft wolle sie dann von Stuttgart zum Anfangspunkt laufen, um den Weg zu vollenden. Es war eine nette, kurzweilige Unterhaltung, die dann auch den Aufenthalt in Mallorca, sie musste wie ich dort umsteigen, angenehm verkürzte. Man trifft im Leben stets die, die man treffen will und soll. Schließlich geschieht nichts zufällig, alles hat eine Ursache und muss notwendiger weise geschehen. Als ich kurz darauf daheim abends durch die TV Programme zippte, vermeinte ich diese Pilgerin in einer Serie als Hauptdarstellerin wieder zu erkennen. In der TV-Zeitung fand ich ihren Namen – ich kenne keine Schauspieler - und im Internet ihr Bild. Nun verstehe ich, weshalb sie sich über Persönliches zurückhielt. Im Gegensatz zu anderen Pilgern hätte ich sie jedoch nicht um eine Erinnerungsunterschrift oder, was ich noch ätzender finde, ein gemeinsames Foto gebeten. Ich sammle viel, z.B. Atlanten, Schweine, Matshbox Rolls Royce, Kompasse, Würfel u.a. aber keine Autoramme. Unterschriften gebe ich beruflich schon genug. Shirley MacLaine berichtet von unangenehmen Autogrammjägern. Auch VIPs brauchen ihre Ruhe. Mich reizen sie nicht. Bin ich froh, keiner zu sein. Ich akzeptiere, dass diese sympathische Schauspielerin nicht erkannt werden, ein namenloser Pilger, wie alle anderen sein wollte. Das soll auch hier so bleiben. Ich fand sie natürlich, menschlich, nicht eitel oder affig oder gar schicki-micki. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, sie sei Schauspielerin. Ich lernte ja auch noch keine kennen. Wie nun wieder festgestellt, verlockt der Weg selbst Prominente. Ihnen will man dafür keine Sensibilität zutrauen. Zuletzt hat Hape Kerkeling seinen ehrlichen, kurzweilig zu lesenden Camino Bericht vorgelegt. Solche VIPs und die vielen Millionen namenlosen Unbekannten zeigen: Der Jakobsweg zieht an, bewegt Füße, Herzen u n d Seelen, selbst bei denen, bei denen man es eigentlich zuletzt erwartet - wie z.B. auch bei mir, dem Unsportlichem.

Aus großer Höhe
sind die Menschen unsichtbar
doch Herzen schlagen.

Die Traurigkeit wächst
mit dem Mehr an Entfernung
einsam ist das Herz.

Tief ist dann das Loch
mit allen Erlebnissen.
Mühsam ’s Rauskrabbeln.

Donnerstag, 25. Mai 2006

Burgos - Bilbao

Burgos - Bilbao


Burgos bietet eine Menge Sehenswertes. Zum Beispiel das Museum. In ihm fesselte mich das Bild einer Frau mit blauen Augen. Alle andern hatten braune. Warum haben die Menschen in den südlichen Gegenden weniger blaue Augen? Die Österreicher und Deutschen auf dem Abschiedsbild im Café vor der Kathedrale hatten sie. Während sie den Weg weiter marschierten, fuhr ich mit dem Bus nach Bilbao. Dort war das Leben großstädtischer, die Menschen besser angezogen. Pilger mit ihren Rucksäcken waren die Ausnahme im fröhlichen Treiben auf den breiten Boulevards. Ebenso im Guggenheim Museum, das ich wie erwähnt, wieder besuchte. Dort, an einem Zelt-Kunstwerk, zog der Weg, zogen Erlebnisse und Erfahrungen der Tage an meinem Auge vorbei. In den Dreizeilern vom 26./28.5.06 fasste ich diese Gedanken zusammen. Mit ihnen klingen diese „erläuternden“ Zwischenzeilen aus.


Der Körper erlebt
Glaube, Hoffnung, Erlösung
auf der Wanderung.

Der Klang der Flöte
begleitet den klaren Tag
unerschütterlich.

Auf dem Straßenmarkt
herrscht die fröhlichste Hektik
dort rollt der Euro.

Graziösität
in der Monumentalen,
die Kamera schwenkt.

Ein Bild verfolgt mich
hellblau sind diese Augen
die Tiefe haftet.

Beim Museumsgang
können die Augen aufgehn.
Auch Kleines fesselt.



Mittwoch, 24. Mai 2006

Atapuerca - Burgos

Atapuerca - Burgos

Ich hatte nur noch 23 km bis Burgos zu pilgern. Vor dem leichten Anstieg auf einen Hügel, lichtete ich den Hotel-Esel ab. Er hielt den Kirchenvorplatz von Unkraut frei. Der Weg führte an der schon erwähnten großen Ansammlung von kleineren und größeren Pyramiden vorbei. Die buschige Höhe, große Bäume vermisste ich, beherrschte ein übergroßes Kreuz. Seinen Fuß umgab ein schon recht hoher Steinhaufen, den Pilger aufschichteten. Verwundert hat mich, dass ich auf der bisherigen Strecke nur wenige Wegeskreuze sah. In meiner, überwiegend katholisch geprägten westfälischen Heimat findet man sie an fast jeder Bauernhofzufahrt. In den 18 Jahren als Heimatvereinsvorsitzender in Ahlen habe ich mich dort vehement u.a. für deren Pflege und Erhalt eingesetzt. In Aue und seiner erzgebirgischen Umgebung fehlen sie mir ebenso wie in Spanien auf dem Jakobsweg. Besonders auffällig war jedoch für mich eine Steinspirale in der Nähe des Kreuzes. Pilger werden sie gelegt haben. Einige der hellen Formsteine waren verrutscht. Ihr Liegeort war noch an den entsprechenden Kuhlen erkenntlich. Ich legte sie wieder an den alten Platz zurück. Nachdem ich die Bedeutung einer solchen Spirale meinen Mitläufern erklärt hatte, lief Gerds Frau als erste andächtig, konzentriert zum Mittelpunkt. Nach einer kurzen Besinnungspause, ging sie ebenso langsam die gegangene Strecke zurück. Sie überschritt, wie ihr aufgetragen, keine der seitlichen Begrenzungen. Dadurch hätte sie die aufgebaute Kreiskraft zerstört.

Viele solcher Spiralen sah ich schon. Auch in meinen Keltenbüchern. Bevor ich jedoch im März 2002 für drei Tage in Damanhur bei Turin in Italien war, wusste ich nichts von der magischen Bedeutung einer Spirale. (www.damanhur.org – s.a. meinen Bericht „Besuch in Damanhur“) Da ich ein Ägyptenfan und der dortigen unterirdischen Anlagen bin, horchte ich damals auf, als ich von Damanhur und seinen vor wenigen Jahrzehnten heimlich in einen Berg gebauten Tempeln erfuhr. Dort angekommen sah ich dann auch solche Steinspiralen. Folgendes blieb von den Erklärungen haften. Beim Begehen der Spirale werde der spirituelle energetische Prozess der inneren Sammlung gefördert. So könnten Botschaften empfangen werden, die aus der Tiefe, von weit her kämen. Denn die synchronischen Linien, die die Erde umlaufen und sie mit dem Universum verbinden, würden durch solch eine Spirale gebunden, wenn sie denn an einem bestimmten energetischen Platz ausgelegt sei. Unter Ausnutzung dieser Kräfte könne die Lebensenergie beim Begehen fokussiert und ausgerichtet werden. Das Begehen der Spirale sei, obwohl es so aussähe, kein Alleingang. Der Begeher könne offen werden für die Idee, dass jeder von uns Teil eines unendlichen, umfassenden Planes sei. Jedes noch so winzige Teilchen darin sei wichtig, keines entbehrlich. Dieser ins Innere führende Weg lehre, dass der Mensch zur unbekannten Mitte seines Seins finden soll, um die Allseele zu entdecken. Diese Sehnsucht schlummere in jedem von uns. Deshalb sei die Spirale als eine der Grundformen des Universums wohl die älteste spirituelle Form der Menschheit. Mir blieb verborgen, ob meine vier verwundert zuhörenden Begleiter mir dies abnahmen, bzw. verstanden. Ist auch egal. Jedenfalls erinnerte mich diese sorgfältig angelegte Stein-Boden-Spirale an große Erlebnisse in Damanhur.

Ich fand Sicherheit
tief in meinem Inneren
ohne Erwartung.

6 Wochen und mehr
plant mancher für den Weg ein.
Er ist sein Schicksal.

Ein Wadenbeißer
bringt einen nicht vom Weg ab, -
auch das lernt man mal.

Vergessen lern ich
Sonnenbrand, Blasen, Schmerzen
Der Weg gibt mir Kraft.

Mit meinen Schritten
verschiebe ich die Wertigkeit
von sonst Wichtigem.

Ätzend war der letzte Teil des Weges in die 163.000 Einwohner zählende Stadt Burgos. Er führte durch ein lang gezogenes Industriegebiet. Die angenehmere Strecke hatte ich verpasst. Die Kathedrale ist Innenstadt beherrschend. Düster und überladen fand ich sie. In ihr hatte ich das Gefühl, an jedem der Gold geschmückten Altäre klebe zudem noch das Blut der im Namen des Christentums brutal nieder gemachten Inkas und Mayas.

Dienstag, 23. Mai 2006

Villafranca de Oca - San Juan de Ortega - Atapuerca

Villafranca de Oca - San Juan de Ortega - Atapuerca

Der Weg gibt Nahrung
trotzdem braucht man’s Restaurante
Paella gibt Kraft.

Auch wenn sie schnarchen
findest du deinen Tiefschlaf
in der Herberge.

Harte Strecken gibt’s
auch sehr mystische Orte
die einen küssen.

Jeder von uns hat
seine Lebensaufgabe
man muss zu ihr stehn.

Ich hab’ eine Pflicht
gut für mich selbst zu sorgen.
Ich bin die Quelle.

Nimm stets was du brauchst
sei dankbar für ein Geschenk
umsonst gibt es nichts!

An einigen Orten wurde ich gefühlsmäßig darin bestärkt, daß hier heidnische Kultplätze zu finden sein müßten. Irgendwo in der Höhe von Ages verließ ich den Überlandbus. Den beiden früher so lustigen Franzosen sagte ich Adieu. Vor Atapuerca durchschneidet die kleine Strasse ein (wohl oval geformtes) Buschwäldchen. Mir waren dort Mistelbüschel aufgefallen. Sie fotografierte ich ebenso wie einen großen, stetig überlaufenden Wassertrog. Misteln waren den Druiden, den Priestern der Kelten, heilig. Über beide las ich viel und schrieb darüber im Rahmen meiner Keltenarbeit. So schaute ich mir diesen Platz intensiver an. Ich hatte den Eindruck, dass es ein besonderer Ort war. Er hatte für mich eine intensive Ausstrahlung. Bei Atapuerca selbst fand man in einer Höhle Überreste von 800.000 Jahre alten Menschen. Also ist die Gegend schon ewig besiedelt, hat schon immer eine besondere Anziehung ausgeübt. Ein Hinweis auf das zuvor Beschriebene. Bei der Heimat der ersten Europäer gab es eine schöne neue Herberge. Hier traf ich neben anderen das belgische Ehepaar wieder, von denen er vor einigen Jahren mit dem Rad von zu Hause nach Santiago gefahren war. Da er dabei nichts vom Land gesehen hatte, lief er nun den Weg mit seiner Frau von Pamplona aus.


Montag, 22. Mai 2006

Belorado - Tosantos -Villafranca Montes de Oca



Viele gehen den Weg
wobei jeder anders fühlt
man redet nicht viel.

Belorado folgte Tosantos, danach gab das halb verlassene Dorf Villambista ein schönes Fotomotiv ab. Mir ist der Dorfbrunnen in Erinnerung geblieben. In ihm kühlten zwei Polen ihre geschundenen Füße. Dort eröffnete die leichte Höhe einen weiten Blick in die zu durchlaufende grüne Eben mit dem in der Ferne verschwindenden Pilgerweg. Zu den Steinchen auf dem markanten Wegmarkierungsstein mit der Jakobsmuschel, fügte ich ein weiteres. Auch die herrliche Landschaft hinter der verfallenen Häuserreihe blieb haften. Das dort entstandene Foto halte ich für eins meiner besten. In Villafranca Montes de Oca gönnte ich mir im Dorfgasthof zum Mittag das Dreigang Tagesmenü. Das französische Rentnerpärchen traf ich dort wieder. Wegen ihrer Krankheit gaben sie hier auf. Voll gestopft und lustlos hatte ich beim Essen gelesen, es ginge nun steil hoch und zwölf km über eine Hochebene. So beschloss ich, die Franzosen einige km im Bus zu begleiten, obwohl mich auf dieser Wegstrecke die Kirche von San Juan de Ortega brennend interessiert hätte. Zur Tag- und Nachtgleiche, am 21. März und 21.September, beleuchtet in ihr „um 17 Uhr ein Lichtstrahl die Verkündigungsszene auf dem Kapitel links neben der Apsis; danach wandert der Lichtstrahl über die Geburt Christi zum Besuch der Heiligen Drei Könige, um nach zehn Minuten wieder für ein halbes Jahr zu verschwinden.“ So beschreibt’s „Der Weg ist das Ziel.“ Mir kam dabei die Pyramide des Kukulcán in Chichén Itzá Yukatan/Mexiko in Erinnerung. Sie wird als eine der bedeutesten Maya-Wallfahrtstätten des Postklassikums bezeichnet (Prem/Dyckerhoff, "Das Alte Mexiko", München 1986, S.97). Auch da planten deren Baumeister ein Lichtwunder ein. An den vorbenannten Tagen bewegt sich dort eine Lichtschlange über die Eckstufen der Pyramide, im März von der Spitze zur Basis und im September an der gegenüberliegenden Treppenseite von unten nach oben. Bei Erich von Däniken ist dieses Phänomen in "Die Spuren der Außerirdischen", München 1990 S. 97 bildlich festgehalten, beschrieben wirds von ihm auf S. 30f. Von anderen Großbauten, z.B. Stonehenge in England, sind solche Baueinplanungen bekannt. Auch die Kelten, mit denen ich mich in Bockau intensiv beschäftige, kannten diese Fixzeiten. Sie ermittelten sie durch Anvisierung von Sonnenauf- bzw. –untergang, dabei entsprechend ausgerichtete Peilsteine nutzend. Dass in einem christlichen Gotteshaus die Möglichkeit der Bestimmung dieser wichtigen Daten eingebaut wurde, habe ich noch nie gelesen.

Die ersten Kirchen in der Christianisierungsphase wurden auf Geheiß des Papstes überwiegend auf Stellen erbaut, auf denen zuvor ein „heidnischer“ Tempel stand. Für mich sind übrigens die Worte: Kirche, Gotteshaus, Tempel, Mosche, Kultort, heidnischer Ritenplatz oder Ähnliches von gleicher Bedeutung. Nutzten die Ingenieure der vorbezeichneten Kirche bei ihrer Errichtung nur schon dort Vorhandenes aus, gaben dem schon vorhandenen „Lichtwunder“ nur einen christlichen Hintergrund? Man möge mich vom Gegenteil überzeugen.

Nicht nur die Ausstrahlung des Weges stellte ich beim Wandern fest. Ich beschrieb ihn schon als einen lang gezogenen Ort der Kraft (Ley Line). Auf den bislang gelaufenen 200 Camino Kilometern, fielen mir darüber hinaus vielerorts markante Geländepunkte auf. Einige erinnerten mich an Grabhügel. Andere sahen wie Siedlungsplätze aus. Die Landschaft entlang des Pilgerweges bietet wahrscheinlich noch viel Unentdecktes. Nicht der Wanderer ist hier gefordert. Er beschäftigt sich mit sich selbst. Es ist die Archäologie, die den Spaten ansetzten sollte. Im Erfolgsfall könnte man meinen Eindruck, die Gesamtstrecke sei schon weit vor der Zeit der Christenheit genutzt worden, vielleicht beantworten.

Sonntag, 21. Mai 2006

Auf dem langen Weg/erfahr die Weite der Welt,/groß ist das Kleine.

Santo Domingo de la Calzada - Redecilla del Camino - Belorado

Auf dem langen Weg/erfahr die Weite der Welt,/groß ist das Kleine./

Wenn man ihn nicht mag, braucht man ihn nicht zu gehen. Jeder Pilger tut das freiwillig. Jederzeit kann er abbrechen. Trotz aller Schwierigkeiten geht er weiter, es sei, eine Krankheit zwingt zur Aufgabe. Mir begegnete ein Arzt aus Hamburg. Helmut erfroren fast Zehen im Schnee der Berge. Er lief in diesem Jahr von dem Ort weiter, wo er letztlich aufhören musste. Heidi aus München, etwa in meinem Alter. bekam vor mehren Jahren auf dem Weg einen Hörsturz. Sie lief trotz der Proteste ihrer Familie dieses Jahr wieder. Ich hätte mehrere von ihnen fotografieren sollen, nicht nur die tolle Landschaft. Von ihr geht etwas Faszinierendes aus. Dazu kommen noch die Kleinigkeiten, die mir auffielen und auf meinen Zetteln festgehalten wurden. So z.B. die kilometerlangen Betonröhren zwischen den Feldern. Durch sie führen die Bauern das kostbare Nass von entfernten Wasserstellen heran. Wer durch diese trockene Landschaft läuft, weiß wie lebensnotwendig nicht nur für uns das Wasser ist.

Sauber und adrett,
der Herbergswirt war Deutscher.
Gibt’s den Unterschied?

Er gibt ihm zurück
was ihm Gutes widerfuhr
an Gleichgesinnte.

Kein Pilger vermisst
jemals die Weltnachrichten -
in ihm ist alles.

Najera ist ganz nett. Das Restaurantessen war ok. Von Azofra blieb nichts haften. In Santo Domingo de la Calzada erstaunten mich die vielen nistenden Störche auf den Kirchen. Die Gemeinde am Rio Oja war ansprechend, auch die Herberge. Die Restaurant Chefin scheuchte ihren Mann, der mir und andern Pilgern erst ab 20 Uhr was zu Essen geben wollte. So konnte ich meinen leeren Magen schon vor 19 Uhr mit Fisch füllen. Überall entlang des Weges wunderte es mich stets, dass es ein reichliches Fischangebot gab. Es stammte weder hier noch anderswo aus Niedrigwasser führenden Flüssen, sondern wie sonst auch, aus dem Meer. In diesem Übernachtungsplatz erlebte ich die erwähnte Hochzeit. Weil der Ort mal Bischofssitz war, wird die Kirche als Kathedrale bezeichnet. Dem hochtrabenden Namen wird sie nicht gerecht. Auch nicht unter Berücksichtigung, dass sie Grabstätte des Stadtgründers, des Heiligen Domingo de Viloria ist, bzw., vielleicht als einzige Kirche auf der ganzen Welt, lebende Hühner beherbergt. Es kommen sonst viele in dies sehenswerte Gotteshaus, die sind aber nicht in einem gotischen Käfig eingesperrt. Sie dürfen frei herumlaufen. Die im Käfig krähten nicht, dafür die Freilandhühner um so mehr. Manchmal habe ich das ja ganz gerne. Manchmal geht’s mir aber auch auf den Keks. Wo was passt, passt’s.

Beim Weitermarsch über die alte Brücke Richtung Granón entstand beim Zurückblicken das erste Gedicht, das sich unter dem 20. 05. findet. In Granón selbst zeigte der deutsche Herbergswirt, der Feldwebel, stolz sein Ferien-Beschäftigungs-Feld. Ihm widmete ich den ersten Dreizeiler vom 21.5. Eine kleine Bar mit geschäftstüchtigen Inhabern gab’s. Die Stärkung, ein gut Wurst/Käse belegtes Baguette, schmeckte prächtig wie auch der Milchkaffee. Vier km weiter kam ich nach Redecilla del Camino. Geschafft war ich. Daher ließ ich das sehenswerte Taufbecken der Pfarrkirche aus dem 12.Jh. links liegen. Irgendwann hat der Läufer es satt, sich in allen Kirchen umzusehen, obwohl nahezu jede ein Kleinod ist. Man wird quasi mit Kunst erschlagen. Sie zu genießen, fehlt dann die Lust. Die bleibt anderem vorbehalten, dem Weg, den Empfindungen und so weiter. Das letzte Gedicht vom 23.5. drückt das aus. Der Wadenbeißer bezieht sich auf einen Vorfall in meinem dörflichen Gemeinderat. Helga las mir am Vorabend die wichtige eingegangene Post vor. An einem der Briefe hatte ich einige Zeit kräftig zu kauen.

Sei dankbar dem Schmerz
deines geschundenen Leibs.
Auch das ist Lernen.

Einen tiefen Sinn
erkennen wir nicht hier, jetzt,
erst später am Tor.

Dankbarkeit lernt man.
Findet zur Bescheidenheit -
und erinnert sich.

Wenn Regen und Wind,
Sonne und Staub dich quälen
reicht’s einfache Dach.

Nicht nur den Schatten
auch Stille lernt man schätzen -
und das Alleinsein.

Je länger ich lauf’
desto mehr treibt mich der Weg
über Stock und Stein.

Täglich auf’s Neue
läuft der Kampf gegen den Weg
tief im Inneren.

Erst am 10. Tag
ist der Schweinehund geschafft -
Sagt ein Althase.

Samstag, 20. Mai 2006

Najera - Santo Domingo de la Calzera***** 20. Mai 2006 *****

Viele Weiler, Dörfer, kleine und größere Städte durchlief ich. Ich hätte mir wie andere Stichpunkte über die einzelnen Stationen machen sollen. So ist heute das meiste verwischt, überlagert, versunken im Brei der Erinnerung. Einige Dorfplätze blieben im Gedächtnis, schöne alte Kirchen, an denen fast überall heftig der Zahn der Zeit nagte. Auf den meisten waren belegte Storchennester. Ein willkommenes Fotomotiv. Eine Hochzeit erlebte ich in einer der Kirchen. Die hübsche Braut mit dem coolen Bräutigam fotografierte ich später. Ob sie wohl einen notariellen Ehevertrag haben? Schilder von Berufskollegen sah ich und fotografierte eines für mein Büroalbum. So bannte ich auch mich interessierende Türen, Tore, Gitter auf den Chip. Sie wanderten inzwischen in das diesbezügliche Spezialalbum. Jeder hat halt andere Interessen/Macken.

Das stellte ich bei der erwähnten Gruppe aus Düsseldorf fest. Sie wurden von ihrem Diakon begleitet, der den Lakaien spielen musste. „Er verbringt ja bezahlten Urlaub mit uns“ (den acht katholischen Gemeindeschäflein). So lief er voraus und orderte die Herbergen, bestellte den Tisch in dem kleinen Dorfrestaurant und sah nach, wann die Pilgermesse war, die sie an jedem Abend besuchten. Da er einige Jahre in Brasilien gearbeitet hatte, sprach er fließend Spanisch und ebnete auch sonstige Hindernisse. Diese netten Leute, wir unterhielten uns da und dort abends sehr angeregt, liefen aus religiösen Beweggründen.

Die nächsten Gedichte bedürfen keiner Erläuterung. Sie sind so verständlich. Auf dem Weg von Navarette nach Najera traf ich auf ein tief verliebtes Pärchen, ich glaube, sie hießen Marie und Gerd. In Nähe der holländischen Grenze wohnten sie. Mit Österreichern traf ich sie vor Burgos wieder, wo wir gemeinsam einliefen. Sie erzählte, sie sei mit ihrem Mann, er sei Jäger, zuvor im Harz Probe gelaufen. Nun ruhte seine Flinte. Amüsiert hörten sie sich dann das an, was ich von meinem letzt jährigen Vor-Wander-Übungslauf berichtete.

Drei Freunde aus Ahlen besuchten mich für ein verlängertes Wochenende in Bockau/ Erzgebirge. Sie hatten den Wunsch geäußert, von dort nach Karlsbad zu laufen. Das sind mit dem PKW über Oberwiesenthal 80 km, per Rad oder zu Fuß vielleicht zwischen fünfzig und sechzig. Meine einheimischen Freunde meinten, man könne es gut an einem Tag schaffen. Eine Woche vor dem Eintreffen von Jürgen, Walter und Wolfgang, fuhr ich in Begleitung meines Lions Freundes Edgar nach Tschechien. Dort kaufte ich in Sachsen leider nicht erhältliche Wanderkarten und organisierte das Übernachtungshotel hinter der Grenze. Edgar kannte sich aus und legte fest, wo wir herlaufen sollten. Der Rucksack meines mittleren Kindes Tilo stand gepackt bereit.

Mein Schulfreund Jürgen rief kurz vorher noch mal an. Freudig berichtete ich ihm von meinen Bemühungen und, dass alles klappen würde. Er druckste herum. Sie wollten ja eigentlich laufen. Das müsse aber nicht sooo unbedingt sein! Ich sagte es würde gelaufen. Alles sei organisiert. Insgeheim freute ich mich jedoch sehr über diese Absichtsänderung. Sie entsprach ganz meinen Wünschen. Das Wetter war mies. Man hatte Regen vorausgesagt. Ich rief meinen Stammtischfreund Heinz Neubert in Stützengrün an. Er hat eine große Zimmerei. Als Hobby betreibt er Kremser Kutschfahrten. Mit ihm verabredete ich, er solle am übernächsten Tag ca. vier km von meinem Haus im tiefen Bockauer Wald mit seiner Kutsche um 10 Uhr stehen und uns von dort zur Grenze nach Johangeorgenstadt fahren. (In Bockau beginnt das größte zusammenhängende Walgebiet Deutschlands. Das Erzgebirge ist eine wunderschöne Gegend.) Am Abend vor der geplanten Wanderung nahm ich meine Ahlener mit zum Stammtisch. Die anderen Kollegen, die nichts von der Absprache wussten, bewunderten unser Vorhaben und gaben noch gute Tips. Es war kalt, es nieselte, als wir morgens aufbrachen. Verabredungsgemäß stand Heinz mir seinem offenen Landauer auf dem Waldweg. Meine Freunde wunderten sich, den Stammtischfreund vom Vorabend hier zu sehen, dachten sich aber immer noch nichts, bis ich eröffnete, er brächte uns zur Grenze. Ihnen fiel ein Stein vom Herzen. In Johanstadt stiegen wir in den Zug und kamen gut erholt in Karlsbad an. Auch für den Rückweg benutzen wir die Eisenbahn. Im Gegensatz zu manch anderem Pilger lief ich, der ich schon immer unsportlich war, also völlig unvorbereitet den Camino. Es schadete mir zum Glück nicht. Marie und die anderen meinten das nach diesem Bericht dann auch.

Zurück geht der Blick
auf das Stadtkloster am Fluss
mit dem Gnadenbild.

Schweiß lief beim Anstieg
weit dann die Hochebene
von Wolken gedämpft.

Zwischen Wein und Korn
die Bewässerungsrinnen
reich gibt die Erde.

Gut schmeckt der Kaffee
in der Bar am Ortsbrunnen
danach Gluthitze.

Über Berg und Tal
eine staubige Piste,
abkühlend ein Wind.

Viele Steintürmchen
errichteten die Pilger
mit ihren Wünschen.

Die vielen Steine
können das Ziel verleiden.
Sie sind überall.

Dicke Steinbrocken
können das Ziel verleiden.
Sie sind überall.

Du musst sie mögen -
Felsen, wenn du sie besteigst,
sonst bist du hier falsch.

In den Gedichtstexten, die ich wie erwähnt fast alle im Gehen notierte, nahm ich eine gerade gemachte Beobachtung oder einen Gedanken, der mir durch den Kopf schoss, quasi zu Protokoll. Der Jurist lernt komplizierte Vorgänge in Kurzform wieder zu geben. Ich legte nichts aus, analysierte es nicht, hielt einfach nur was fest. Mit der Kamera fixiert man eine Jetzt Szene, die danach schon der Vergangenheit angehört. Das gleiche, jedoch in epischer Breite, macht der Maler. Bei ihm werden zusätzlich zum Grundmotiv noch Eigenempfindungen in die Komposition mit eingebaut. Es geschieht entweder durch Hinzufügen oder Weglassen. Malen kann ich nicht. Seit dem 14. Lebensjahr fotografiere ich. Die Motive wandelten sich, wie meine Sichtweisen. In Meinen Gedichten, jedes Jahr füllen sie nun einen Leitz Ordner, halte ich auch häufig Nebensächlichkeiten fest, die andere nicht wahrnehmen. So notiere ich, was mir auffällt. Verstecke dabei auch meine Emotionen nicht. All das spiegelt sich u.a. in meinen Gedichten vom Jakobsweg wieder.

Freitag, 19. Mai 2006

Navarette - Ventosa - Najera ***** 19. Mai 2006 *****

Die Luft Spaniens

belebt den Geist und Körper,
der dünner wurde.

An manchen Tagen
findet sich nichts auf Zetteln.
Der Geist leerte sich.
Es lag nicht am Wein, wenn sich an einigen Tagen weniger Texte auf meinen Zetteln fanden. Denn eins bewirkte der Weg auch bei mir, er brachte Entspannung von der täglichen Hektik und dem Druck. Und Muße, die Unbeschwertheit zu genießen. Das Büro in Aue war sooo weit weg.


Donnerstag, 18. Mai 2006

Viana - Logrono - Navarette***** 18. Mai 2006 *****

Nach solch einem Kurzstopp ging’s dann durch dick und dünn weiter und durch die Hitze. Ich machte einen Fehler. Den überhitzten Körper kühlte ich bei Ankunft an einem Zielort mit einem Liter eiskalten Sturzbier von innen und von außen mit kaltem Wasser der Hotelbadewanne. Die Quittung bekam ich in der Nacht. Schüttelfrost ließ mich kaum schlafen. Ich simulierte. Mir schwirrten die sonst so gern gesuchten Wegesmuscheln durch den Kopf, von denen ich nichts mehr wissen wollte, genauso wie die kleinen himmelwärts stehenden Pyramiden. Mir war kotzelend. Die freundliche Dame vom Empfang hatte Aspirin. Ich nehme sonst kaum Medizin. Hier tat ich’s und stellte fest, wie sie helfen kann. Als Naturbursche hatte ich natürlich keine Medizin dabei. Das werde ich ändern und habe deswegen schon einen entsprechenden Passus in meine Rucksack-Checkliste eingefügt. Mir fehlte in der Nacht eine langärmelige Jacke, eine dicke lange Hose. (Zwischenzeitlich kaufte ich das.) Ich fror unter der Sommerdecke. Nichts konnte mich wärmen. Die Nacht überstand ich jedoch. Das Frühstück war in diesem Hotel annehmbar. Da ich gewohnt bin, trotz eines Wehwehchens zu arbeiten, blieb ich nicht in dem Hotel, sondern wanderte weiter. In meinem Notariat und vorher in der Anwaltskanzlei bzw. zuvor als Geschäftsführer fehlte ich nie wegen Krankheit. Arbeit kann über solche hinwegbringen und Arbeit mag ich. Sie lenkt mich stets von körperlichen Missständen ab. An meinem Schreibtisch entspanne ich mich mehr als im Garten. Lieber 8 Stunden im Büro als 2 dort. Ich testete schon viele Grenzen aus, so auch an jenem Morgen, wo mich die Piste wie magisch anzog und mir auf die Beine half. Die spannendsten Geschichten schreibt die Wirklichkeit.

Beim Gehen sah ich dann die kleine Eidechse über den Weg huschen, bemerkte an einigen Stellen die tiefen Spuren rechts und links des Mittelstreifen, die Wagenräder in den Weg gruben, sah den abgerutschten Hang. Alles verarbeitet ich sogleich, dafür mal eben stehen bleibend, um das Gesehene schnell auf dem Block festzuhalten. Manchmal musste ich mich sputen, um Mitläufer wieder einzuholen. Mir machte etwas auch die Sonne zu schaffen, denn ich lief ohne Hut. Vergeblich hatte ich ihn mehrfach in meinem Rucksack gesucht, ich war mir sicher, er musste darin sein, da ich glaubte, ihn eingepackt zu haben. Während der ganzen Tour suchte ich ihn immer wieder. Da ich ihn nicht fand, schützte mich nur mein dichtes, typisches Nahrath-Haar. Der Hut tauchte daheim wieder auf. Er war tatsächlich im Rucksack! Es gilt auch hier: was man nicht im Kopf hat, sollte man aufschreiben! Doch der Knautschhut hatte sich unsichtbar gemacht. Wieso, frage ich mich nun, sollte ich den Hut nicht tragen. Vielleicht hätte ich mit ihm zu pilgermäßig ausgesehen? War ich, der ich ohne religiöses Motiv rein aus sportlicher Neigung lief, seiner nicht würdig?


Auch ein Langsamer
erreicht wie Schnelle das Ziel,
- wenn er es erreicht.

Ihr, meine Füße,
schadet keinem Tier vor euch
wie ihr will’s leben.

Ein Schmetterling, weiß,
nach emsigem Zickzackflug,
stoppt an sattem Blau.

Zwischen den Zehen
werden die Blasen größer.
Die Füße schmerzen.

Diese Strapazen,
wie kann man sich das antun,
wer ist so bekloppt?!

Wer frisst freiwillig
in Hitze Kilometer?
Was suche ich hier?

Herbergen sind gut
zum Glück gibt’s auch noch Hotels
sonst gönnt man sich nichts.

Den heißen Körper
kühlte die Badewanne
geläutert der Geist.

Schüttelfrost plagte
den Frau Aspirin vertrieb.
Jeden erwischt’s mal.

Statt Hut waren meine drei Blasen sichtbar. Die vor Ort gekauften Pflaster erwiesen sich als nutzlos. Sie verkrümelten sich beim Laufen. Vielleicht lag das an der Salbe, denn jeden Morgen cremte ich mir meine Füße satt mit Melkfett ein. Darüber zog ich die immer gleichen, ungewaschenen, dicken Wollsocken. Sie stellte ich abends auf dem Fensterbrett ab, wo sie ungestört vor sich hin miefen konnten. Nicht liegend, sondern stehend genossen sie vor mir in der Frühe den Blick nach draußen. Das Melkfett stimmte jedoch meine dicken Hornhautschwielen milde. Glück kann jeden treffen. Ganz schön raffiniert, dieser Eincrem- Vorschlag von Vorläufern. Die Wanderstrümpfe, die sogar stehen konnten, aber nur mit mir laufen, stanken wirklich erbärmlich. Sie entsorgte ich vor dem Rückflug. Zum Glück roch niemand während des Wanderns an meinen Füßen und abends wusch ich mich gründlich. Daheim bin ich gewohnt, alles täglich zu wechseln. Man wird als Wanderer bescheiden. Das betrifft auch die Hygiene. Immer noch lernfähig zu sein, stellte ich ebenso fest.

Einen weiteren Rat nämlich befolgend, hatte ich in meinem unergründlichen, bis zum Schluss noch manches Geheimnis wohl behütenden Rucksack, Rei in der Tube. Was das ist, erfuhr ich von Helga vor der Übergabe, nämlich flüssiges Waschpulver. Es ist in einem größeren Ausdrückbehältnis versteckt. Man schmiert es, wenn dringend nötig, auf ein zuvor nass gemachtes Kleidungsstück, das dringend der Reinigung bedarf, und rubbelt das dann unter dem Kran sauber – soweit es geht. Dann wringt man es aus, wickelt es in ein Handtuch und quetscht es noch mal kräftig. So ließ ich es mir von, ich glaube, sie wurde von ihrer Düsseldorfer Gruppe Tresken gerufen, erklären. Morgens sollte ich das so behandelte Kleidungsstück dann am Rucksack befestigen. Dort könnt’s gemütlich, praktisch in der Sonne trocknen. Gesagt, getan. Nun baumelte, es ging schon auf Mittag zu, neben dem Schweiß-Küchentuch noch die Unterhose, Schießer Weiß, gerippt, mit Eingriff; weit leuchtend auf dem Rückenteil. Als die Ersten mich belustigt überholten, verschwand die Bollerbuchse noch nass hinter einem der Reißverschlüsse. Beim abendlichen Ausräumen fand ich sie trocken, aber steif vor. Das verwunderte mich. Als ich’s beim Pilgermenue erzählte, wurde mir ein verheimlichter weiterer Reinigungsschritt bekannt. Man muss das beste Stück nach vorbeschriebenen Gebrauch noch gründlich ausspülen, wie beim Zähneputzen und sonst so. Die Tube Rei begegnete mir dann nicht mehr. Erst im erzgebirgischen Bockau fand ich sie ganz tief versteckt neben dem Knautschhut auf dem Rucksackboden. Nie zuvor in meinem Leben brauchte ich zu waschen, außer durch Knopfdruck auf Befehl. Das sei Frauensache, wurde mir überzeugend beigebracht. Daran glaube ich eigentlich bis heute noch. Ob es so bleibt?

Im Pilgerausweis
sammeln sich bunte Stempel -
sieht so einfach aus.

Viele Strapazen
verzeichnen meine Muskeln -
so wie die Seele.

Mit dem gleichen Ziel
vereint das Sprachengemisch
geleitet vom Geist.

Der Körper speichert
des Weges Sonne und Kraft -
bis zum Umfallen.

In Viana ist der Sohn des Papstes Alexander VI., Cesare Borgia, beigesetzt. Da er skrupellos war, liegt sein Grab vor der Kirche Santa Maria. Wo liest man schon, dass der Papst ein Kind hat?

Folge deinem Pfad./Er führt dich wohin du sollst./Nichts ist un-bestimmt.

Vorbei an einem Stausee, an dem ein Ornithologisches Observatorium liegt, ging der Weg. Das hielt meine Wanderung nicht auf. Ein kleines Kiefernwäldchen fesselte mich mehr. In Erinnerung von der nächsten Stadt, der Regionalhauptstadt Logrono, blieb mir der Pilgerbrunnen. Er liegt vor der Santiago Kirche. Ein Standbild des Maurentöters über deren Portal wird als wichtig im Reiseführer hervorgehoben. Heidi aus München, die mich auf den Weg letztendlich aufmerksam machte, empfahl mir auch das Buch „Leben im Jetzt“ von E.Tolle. Überzeugend führt er aus, man solle nicht am Gestern festhalten und das Morgen beherrschend werden lassen. Zum Brennpunkt des Lebens solle man allein das Jetzt machen. Nicht nur deshalb würdigte ich dem Mörder von damals keines Blickes, sondern genoss in tiefen Zügen den Moment des Trinkens. Dabei spürte ich, wie erfrischend das Wasser war, wie es mir Lebenskraft zurückgab.

Zu der Quelle ging es einige Stufen herunter. Erleichtert hatte ich zuvor auf der Mauer meinen Rucksack abgestellt. Ich war kaputt! Doch seit dem ziere ich ein japanisches Album. Ein Pärchen von dort fragte, ob sie mich ablichten dürften. Wahrscheinlich werden sie daheim von dem Pilgerschreck mit der großen, sonnengeröteten Nase japanisch breit berichten. Nebenbei: Die Begleiterin des Fotographen toppte mich um Längen im Bereich Wäsche machen. Sie trug - neben einem ihr permanent lächelndes Gesicht fast verdeckenden Schlapphut - hinter dem Rucksack ein auf ihn abgestimmtes Wäsche-Ständer-Gestell! An den verschiedenen Stangen baumelte, gehalten von richtigen Wäscheklammern, modisches Unterzeug. Die kleine Dame hatte, wie ich anerkennend feststellte, unten herum Geschmack. Wie alle dort sehen konnten, steht man offensichtlich in Japan oben und unten auf Triumph. Was ich zuvor schon mal in der Presse gelesen hatte, sah ich vor dem frommen Gotteshaus bestätigt. Im März 2004 schrieb ich schon folgendes Gedicht zu einer Reklame vorgenannter Firma:

Triumph zieht sie an./Mancher zög sie lieber aus./Ist Ansichtssache!

Einen Monat später formulierte ich ein weiteres. Es passt nicht so gut zum Weg. Deshalb gebe ich es hier nicht wieder. Schmunzelnd las ich es eben. Logrono, es hat 124.000 Einw., fand ich ätzend. Als ich las, der Weg führe durch ein Industriegebiet, beschloss ich, zum Busbahnhof zu laufen. Es dauerte mindestens drei km, bis ich dort ankam. Vielleicht verlief ich mich auch. Man hatte mich einmal in die, dann in jene Richtung geschickt. Mein Wörterbuch Spanisch verstand keiner so richtig. Einen Teil des weiteren Weges legte ich nun im Bus zurück.

Wer sich überschätzt/sollte dies eingestehen./Fehler macht jeder. In Navarette stieg ich aus. Ein Stempel beweist meine Ankunft dort.


Gedanken kommen
mit totaler Erschöpfung.
Verdrängtes spült hoch.

Schmutzige Wäsche
nimm sie wie andere an,
niemand ist allein.

Was zu tun ist, tu,
verschieb es nicht auf morgen.
Der Weg gibt dir Kraft.

Alles, was passiert
es geschieht nach einem Plan,
der unbegreiflich.

Mein Rucksack wog über 12 kg. Das war viel zu schwer. In irgendeinem Ort vor meinem Schüttelfrost schickte ich drei Kilo nach Hause. 39,- € kostete das. Das Postamtzimmer, so sahen die bei uns noch nicht mal vor 50 Jahren aus, war gleichzeitig eine Filiale der DEUTSCHEN BANK! Wie weit sind wir gesunken, dachte ich, dabei die schicken Paläste dieses Geldinstitut bei uns im Auge habend. Ich schickte den Schlafsack heim, ein Buch, den, wie ich glaube, überflüssigen Pullover und Schmutzwäsche. (Nach über 14 Tagen kam’s an, da war ich schon längst wieder am Arbeiten.) Wenn ich jedoch zukünftig nur insgesamt 9 kg schultern möchte, bleibt mir nichts anderes übrig als alle zwei Tage zu waschen. Die Durchgeh-Orte haben meist keine Bekleidungsgeschäfte, in den der Bedarf an Altwäsche ersetzt werden könnte. Außerdem ginge das auf die Urlaubskasse. Das Pilgermenü entfiele. Ich würde zu dünn. Würde als kraftloser Strich in der Landschaft nichts mehr darstellen. (Beim Klamottenkauf verblüffe ich die Verkäuferinnen mit dem Satz, ‚das Hemd -zum Beispiel- solle groß genug ausfallen. Ich kaufte stets auf Zuwachs, hätte nicht die Absicht, schlanker zu werden.’ - Auf dem Weg wurde ich’s, wie ausgeführt.) Also, die Rei-Tube kommt beim Nächsten mal oben auf. In Pilgerherbergen gibt’s sogar manchmal Waschmaschinen, las und hörte ich von Mitpilgern.

Mittwoch, 17. Mai 2006

Torres del Rio - Viana ***** 17. Mai 2006 *****

Die meisten der Stempel ziert übrigens die Strahlenmuschel. Sie findet sich auch da und dort am Wegesrand oder in Mauerwände eingelassen. Manche sind ein tolles Fotomotiv. Ein solches lichtete ich ab. Einige dieser eingelassenen Muscheln sind m.E. jedoch falsch herum angebracht, sodass sie nicht als Richtungsweiser dienen, was sie eigentlich auch sein können und sollen. Die Strahlen des breit gefächerten Rundes stehen meines Erachtens für die einzelnen Wanderwege. Sie laufen alle in einer Spitze, die in einem Rechteck ruht, zusammen. Das Rechteck, glaub ich, kann für das Grab des Heiligen Jakobus stehen. Somit müsste die „Muschelwurzel“ eigentlich zum Ziel aller Pilger weisen, was sie aber wie festgestellt, nicht immer tut. Das ist meine Auslegung des Symbols der Jakobsmuschel. Ob andere es auch so sehen, weiß ich nicht, wenigstens las noch nichts davon.

Die überall am Wegesrand zu findenden kleinen Steinpyramiden sind dagegen mehrfach beschrieben. Auch ich nahm kleine Steine auf und schichtete sie auf die schon vorhandenen. In einem der vielen Jakobsbücher las ich, dass man Steine von zu Hause mitnehmen sollte, um sie auf solche Pyramiden zu legen. Tolle Gebilde sah ich. Bei einigen entstand bei mir der Eindruck, die Erbauer hätten viel Zeit damit verbracht, sie in diese kunstvolle Form zu bringen. An einer Wegesstrecke fand ich hunderte kleiner Pyramiden. Diese, an einem Ort geballte Masse von Steinpyramiden standen geschützt und überlebten wohl so Regen und Stürme, wie der Weg das über Jahrhunderte schaffte. Ich weiß nicht, ob andere Pilger es so wie ich machten: ich gab meinen kleinen Steinchen vor der Ablage einen Kuss und einen Wunsch mit. Legte so mit jedem von ihnen ein kleines Päckchen ab. Einmal löste sich bei diesem Aufschichten ein Schmetterling von einer danebenstehenden Blume, die Spitze der kleinen Pyramide dabei überfliegend. Ich glaube, mein Wunsch hat damit Flügel bekommen. Ich hatte keine Flügel, doch quälte ich mich trotzdem nicht über den Weg, trotz meiner 95 kg.

Sind Dicke wie ich nicht leistungsfähig? Ich war’s während der ganzen Zeit. Wie ein Weltmeister lief ich unbehütet durch die Sonne, wusch sogar eine zu lang getragene Unterhose. Ich quatschte dabei mit denen, die mich jeweils begleiteten. Viele Ideen kamen mir, die in japanischer Versform die Zettel füllten. Sie nährten den Geist und schufen dadurch Energie, Nahrung für die Seele und auch die Beine. Viel Bewegung, wenig Essen erhöht die Lebenserwartung behaupten Ärzte. Ist der Weg deswegen ein Jungbrunnen? Ich denke, seine Kraft liegt – und das kommt in einigen Gedichten zum Ausdruck- in seiner positiven Strahlung, die angereichert wird mit den Empfindungen der auf ihm Laufenden. So entsteht eine Wechselwirkung zwischen Weg und Pilgern. Der Weg ist in meinen Augen ein langgezogener Ort der Kraft. Ich finde es nicht verwunderlich, wenn Sensitive auf ihm tiefe geistige Erlebnisse haben. Lese ich meine dort quasi im Gehen notierten Gedanken heute, nach mehreren Monaten, es ist schon August, verwundern sie mich teilweise. Völlig unterschiedlich sind sie. Doch alle drehen sich um den Weg. Die Fotos sind nebenbei entstanden, zeigen Durchblicke, Blumen, roten Mohn und immer wieder das Band des Pilgerwegs, das alles und alle verbindet.

Ein Treckerfoto erinnert mich daran, wie fleißig die Weinbauern waren. Überall sah ich sie auf ihren flachen Weinfeldern. Sie zogen Unkraut oder schnitten frische Triebe. Ich erinnerte mich dabei an einige unbeschwerte Ferien, die ich in der Pubertät bei Tante Susi und ihrem Mann bei Saarburg verbrachte. Mädels waren für mich damals unerreichbar, ich war insoweit wohl ein Spätzünder. Das Weingut von Onkel Georg Faber, er gab dem FABER SEKT seinen Namen, lag in Staadt in einer Saarschleife unterhalb der Klause von Serrig, einer alten keltischen Befestigung. Dort befindet sich seit den Weltkriegen ein gut gepflegter Soldatenfriedhof. Um Taschengeld zu verdienen, zog ich mit meinen Vettern Dieter und Bernd Hausen-Mabilon in den steilen Berghängen Unkraut. Ich schwitzte mächtig dabei, denn der Schieferboden reflektierte heftig die pralle Sommersonne. Da ich schon damals übergewichtig war, tat es mir eigentlich gut. Vielleicht stammt daher meine Unlust an Gartenarbeit? Hier in Spanien kam es mir vor, als ob jeder Kleinbauer sein eigenes Weinfeld hätte. War deswegen der Rote so preiswert? Ich trank und trinke ihn gerne. Er diente mir dort weniger als Durstlöscher, sondern wie auch zu Hause mehr der Gesundheit wegen. Rotwein soll lebensverlängernd wirken. Vielleicht ist das der Jakobsweg auch. Das denken sicher die, die ihn mehrfach laufen, getreu dem Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Lauf durch die Gegend
soweit die Füße tragen
genieß die Landschaft.

Überwinde ihn
den inneren Schweinehund,
gewinn ihn zum Freund

Steinpyramiden
säumen der Wanderer Weg
gebe ihnen Halt.

Schwer ist das Paket
das in die Ferne abgeht
voll guter Wünsche

Gib deine Wünsche
den Kieseln mit ’nem Kuss mit
für deine Daheim.

Einen Blumenstrauß,
bunt, duftend vom Wegesrand,
schick ich nach Hause.