Freitag, 26. August 2005

Der Jakobsweg 2005 - Leipzig/Bilbao/Pamplona/Estella/Bilbao/Leipzig/Bockau

Erläuterung zu den nachfolgenden Camino Gedichten:

Irgendwann nach meinem 25. Lebensjahr – und später dann immer wieder -las ich etwas über den Jakobsweg, den Camino in Spanien. Er stieß auf mein Interesse, doch hatte ich nicht das Bedürfnis, ihn zu laufen. Damit begann ich erst über den 63. Geburtstag. Es geschah nicht aus religiösen Motiven. Zwar bin ich katholisch, meine diesbezüglichen Überzeugungen ähneln jedoch eher dem des Buddhismus, vermischt mit Natur-Erkenntnissen. Dabei bewundere ich die beharrliche Beständigkeit der Papstkirche. Für ähnliche Situationen formulierte ich schon am 14.4.06 dieses Gedicht:

An der Spitze steht

einer, der den Ton angibt.

Das ist auch gut so.

Während der Wanderungen stieß ich auf Menschen aller Religionen, auch auf Atheisten. Der Camino ist somit längst kein rein katholischer Pilgerweg mehr.

Vorab muss ich erläutern, dass ich 1989 mit der besonderen Art japanischer Gedichte in Berührung kam. Angeregt wurde ich dazu von Elisabeth Gallenkemper, Jahrgang ’27 aus meinem Heimatort Ahlen/Westfalen. Zögerlich schrieb ich holpernd Haikus, dann Sengryus und Tangas. Es waren nicht viele bis zum Tode meiner Frau Christa (1990). Als ich Dezember 1991 nach Aue/Sachs. als Notar wechselte, hatte ich überhaupt keine Zeit mehr etwas zu schreiben. Die stürmische Zeit des Neubeginns in der Frende, das Fußfassen, das 5 ½ Jahre hin und her pendeln verhindertes jegliches kreatives Schaffen nebenbei. Mein alter Ahlener Heimatverein, der Förderkreis zur Erhaltung westfälischer Tradition, entließ mich als Ehrenvorsitzenden. Ich baute mir eine Existenz in Aue und Bockau auf, einen neuen Heimatverein, ein Haus, einen Freundeskreis, einen Lions-Club. Ich etablierte mich im Dorf, im Gemeinderat und im Kreistag. Meine drei Kinder Ina (1972), Tilo (1975) und Ulf (1977) machten nach und nach ihr Abitur in Ahlen und absolvierten ihre Studienjahre. Als sich die Schreibtischarbeit in Aue und anderes normalisierte, begann ich wieder, liebevoll angeregt durch Elisabeth Gallenkemper, mit dem Schreiben; auch von Gedichten in japanischer Versform.

Sie sind anders als die in üblicher Lesart. Ich weiß das und wurde diesbezüglich schon von Meisterin Margret Buerschaper freundlich gerügt. Gleichwohl behielt ich meinen eigenen Stil bei und baute ihn aus. Bei jeder sich heute bietenden Gelegenheit –und die habe ich fast täglich- skizziere ich mich Bewegendes. Meine Art fällt aus dem üblichen Rahmen, obwohl sich die Gedichte streng an die Silbenfolge halten. So entstanden alle Gedichte, die ich auf meinen Camino-Wanderungen empfand.

Als ich 2005 die erste Etappe des Jakobswegs ging, geschah dies mehr aus einer sportlichen Neigung heraus. Ich wollte ergründen, was mein völlig untrainierter Körper hergibt, zum anderen erspüren, welche Bewandtnis es mit diesem allseits hervorgehobenen Weg hat. Ich kratzte, das sei vorweg bemerkt, daran. Inzwischen bin ich süchtig nach ihm und wandere nach Mai 2006 auch im Herbst 2006 wieder eine Strecke, dort dann beginnend, wo ich zuvor aufhörte, in Burgos. Sinnvoll wäre es, den Weg in einem Stück von Frankreich aus zu gehen. Doch die sechs Wochen stehen mir als Selbständigem leider nicht zur Verfügung, vielleicht mal nach der Pensionierung mit 70 Jahren oder später.

Eine meiner vielen Neigungen ist, wie erwähnt, Gedichte in japanischer Versform zu schreiben. Vieles, was ich sehe, mich bewegt, fesselt, fasse ich in Dreizeiler-Texte, wobei ich mich an die strengen Haiku Regeln halte. Die erste Zeile hat 5 Silben, die nächste 7, die dritte wiederum 5, folgen noch zwei weitere Zeilen, haben diese je 7 Silben. Man kann dies mit einiger Übung zu den unterschiedlichsten Themen, Eindrücken mittels unserer wunderschönen, variablen Sprache hin bekommen. Ich schreibe auf diese Weise jährlich einen Aktenordner voll. Die Ideen fliegen mir zu. Das kann im Auto sein, beim Fernsehen, Lesen, Radiohören, Wandern. Auf dem Camino trage ich einen kleinen Taschenblock bei mir. (Wie ich an allen Orten stets Kuli und Zettel griffbereit habe.) Kommt mir eine Idee, setzt sich ein Gedanke fest, bleibe ich stehen und notiere ihn sofort in Dreizeilerform. Abends überarbeite ich ihn dann noch mal. So folgen nach dieser Einleitung die Gedanken, die ich in japanischem Versmass von Leipzig über Mallorca, Bilbao bis Burgos niederschrieb. Weitere werden sich dort anschließen. Mit den jeweiligen 'Vortexten' soll der Leser zum einen die Möglichkeit erhalten, die in Gedichtsform festgehaltenen Szenen, die ich da und dort hatte, in etwa zu verstehen. Zum anderen soll er meine übrigen Eindrücke erfahren.

Meine Dreizeiler sind wahrscheinlich nicht immer nachvollziehbar, da ich sie für mich schreibe, brauchen sie das auch nicht zu sein. Etwas über die japanische Art der Gedichtsform, die in Deutschland über eine eigene HAIKU Gesellschaft verfügt, ist an anderer Stelle erläutert. (s.a: Web: http://www.haiku-dhg.kulturserver-nds.de/) Ich danke insoweit Elisabeth Gallenkemper aus Ahlen/Westfalen, wie erwähnt, für die zur Verfügungsstellung ihrer Ausführungen.

***** vor und während des Flugs *****

Ich sitz am Gate A
auf meinen Abflug wartend
offen die Sinne.

Ihrer Worte Schwall
nagelt mich auf meinen Sitz,
stark riecht der Knoblauch.

Durch kleine Fenster
seh ich die Wolke Sieben
vom Geist begleitet.

Über den Wolken
ist die Freiheit grenzenlos –
Zäune sind im Kopf.

Distanzen schrumpfen
stets , wenn wir vorwärts gehen,
Geist überwindet.

Grell weiß die Flöckchen
zwischen Himmel und Erde.
Jeder braucht Wasser.

Ohne Flügelschlag
hobs Flugzeug ab, landete,
geballt die Spannung.

Heraus aus dem Stress
katapultiert ins Warme.
Erkenntnis ists Ziel.

Zur Erläuterung: Aus meiner neuen Wahlheimat, dem kleinen Erzgebirgsdorf Bockau, fuhr ich als Einzelreisender nach Leipzig, bestieg dort den Touristenflieger. Der Flug ging sowohl 2005 als auch 2006/1 mit Zwischenstopp auf Mallorca nach Bilbao. So wurde ich in wenigen Stunden aus dem relativ kühlen Sachsen in das heiße Bilbao katapultiert. Im Flieger saß ich bis Mallorca neben zwei vielleicht zukünftigen Ballermann-Sechs-Besuchern. Eine der ansprechenden Damen aus Hof hatte wahnsinnige Ohrenschmerzen. Ihre Freundin und ich drückten ihr von unseren Seiten aus einen mit nassen Tempos gefüllten Pappbecher vors jeweilige Ohr. Das nahm den Druck weg. Man sollte sich das merken, wie viele kleine Hilfsmittel, die ich während der Wanderung von anderen erfuhr. Beim Rückflugaufenthalt auf Mallorca traf ich die netten Damen wieder. Das Hallo war groß. Sie wollten an meinen Erfahrungen teilnehmen. Vielleicht lesen sie ja mal zufällig diese Zeilen.

Zufälle, das lernte ich schon, gibt es nicht. Wie sagte vor tausenden von Jahren schon ein Weiser: Nichts geschieht zufällig. Alles hat seine Ursache und muss notwendigerweise geschehen. Da ich an die Wiedergeburt fest glaube, fand ich diesen Satz vielerorts bestätigt. Überlegungen dazu hielt ich 1987 schon in dem Vortragstext „Vom Glauben an ein Danach“ fest.

Erst nach dem Zwischenstop auf Mallorca hatte ich einen Platz am Fenster. Von dort sah ich, wie sich buchstäblich im Flug Deutschland und damit die Büroarbeit entfernte.

***** von Mallorca nach Bilbao entstanden diese Gedichte *****


Der Zungenbrecher
stieß auf einen spitzen Stein.
Man(n) kugelte sich.

Die Erfahrungen
sind das Schönste im Leben –
lernen wir daraus!

Aufrecht erhalten,
denk ich, Glaube, Mut, Liebe,
des Lebens Motor.

Unter dem Flieger
liegen nun meine Sorgen;
warm lacht die Sonne.

Bis zum Zielflughafen schrieb ich vorstehende Gedanken auf den Taschenblock. Auf Mallorca erstaunte mich wieder mal das riesige Flughafengebäude voller wartender oder hetzender Menschen aller Altersstufen mit seinen 68 Gates. Die Ferieninsel mit den auch beschaulich verschwiegenen Wohlfühlplätzen zieht magnetisch die Massen an. Ich wurde schon mehrfach abseits des Touristenrummels von ihrem mediterranen Charme erfasst. Der Flugplatz von Bilbao ist dagegen einfach und winzig. Von der 380000 Einwohner zählende quirligen Industrie Metropole, sie liegt 20 Flusskilometer vom Atlantik entfern, führt auch ein Jakobsweg nach Santiago de Compostella, der sog. Küstenweg. Den wollte ich jedoch nicht laufen. Es musste der von den meisten Pilgern begangene durch das Land sein. Auf ihm allein möchte ich mich dem angepeilten Ziel in Jahresetappen nähern.

Bei meinen ersten beiden Wanderetappen – 2005 standen mir nur acht Tage, 2006/1 nur Zehn Tage zur Verfügung - besuchte ich jeweils am letzten Tag vorm Rückflug das 1977 eingeweihte, gigantische Guggenheim Museum in Bilbao, eines das Moderne Kunst beherbergt und jährliche Wechselausstellungen anbietet. 2005 wurden die Azteken vorgestellt, 2006 russische Kunst über die Jahrhunderte. Das Gebäude hat jedes mal meine Sinne und meine Kamera bewegte. Der mich stets begleitende Taschenführer zum Camino vom Stein-Verlag beschreibt es so: „Das bedeutendeste Kunstwerk ist das Gebäude selbst.“ Ich kann dem nur beipflichten.

Der Besucher erfährt, dass die gebogenen, verdrehten Wände mittels Computerprogrammen errechnet und die einzelnen Blöcke dann durch Rechner gesteuerte Maschinen zurecht geschnittenen wurden. Das fesselte mich besonders, erinnerte es mich doch an die Cheops Pyramide von Gizeh in Kairo. Noch heute weiß niemand bei ihr glaubwürdig zu erklären, wie deren Steine so präzise aufeinander geschichtet wurden. In meiner Vortragsschrift „Nur 4000 Jahre Kultur?“ hob ich dies schon bewundernd hervor. Standen den Baumeistern damals vielleicht auch Computer zur Verfügung? Manche, noch verlachte Forscher bescheinigen den damaligen Bauingenieure ein hohes technisches Können.

Sehenswert war die Guggenheim-Ausstellung im Sommer 2006 in Bonn. Hier hatte man wichtige Werke aus allen 4 Guggenheim-Museen zusammengestellt. Am 27. 08. 2006 regten mich die Dinge zum Schreiben von Gedichten an, die über den Vorspann zu öffnen sind.

Vom Flughafen geht ein Zubringerbus direkt zum Busbahnhof von Bilbao. Von dort stieg ich in die U-Bahn, um in die Altstadt zu gelangen, die der Reiseführer lobte. Ich fand so bei meinem ersten Abstecher ein kleines, aber schmuddeliges, jedoch preiswertes Hotel. In dessen Empfangshalle herrschte roter Plüsch vor. Einen daraus zu ziehenden Schluss konnte ich nicht bestätigen.

Vor ihm fand ein buntes Sommeraltstadtfest statt. Es klang mit einem prächtigen Feuerwerk aus. Sein danach noch fortdauernder Lärm ließ mich wegen einiger zuvor genossener Rotweingläser zur Ruhe kommen, die ich zuvor in einem Straßenrestaurant zwischen kühlenden Häuserzeilen zusammen mit einer Schinkenplatte. genossen hatte Den Schinken hätte ich nicht gewählt, hätte ich die Speisekarte verstanden. Auf dem Jakobsweg fand ich kaum Einheimische, die schwedisch, französisch oder deutsch können. Englisch verstehen sie auch nur eingeschränkt. Hilflos tippte ich dann anderen Orts ebenso wie zuvor in Bilbao auf die Speisekarte, wie hier fand sich kein Pilgermenü. Es war ein prächtiger Einstieg ins bescheidenere Pilgerleben. Am nächsten Tag ging’s für 11,--€ viel zu spät mit dem Bus nach Pamplona. Ich brauchte eine Weile, bis ich mich insgesamt zurecht gefunden hatte, bzw. mir andere erklärten, wie was am besten ging. 2006 hatte ich’s dann gefressen. Nun folgen die Eindrücke, die ich ab Pamplona notierte.

Saubere Betten
in der Herberge am Weg
für müde Häupter.
Ruh am stillen Ort,
schöpf die Kraft aus der Mitte,
leere deinen Geist.

Was geschieht mit uns,
wenn wir denken und fühlen?
Die Welt ändert sich.

Vor mir liegt der Weg,
der Erkenntnis bringen kann.
Schwer ist der Rucksack.

Ein jeder von uns
trägt seine eigene Last.
Gewichte drücken.

Dieses Weges Kraft
verstärken viele Pilger;
tief die Wahrnehmung.

Ein magischer Weg
gibt Erdenergien ab,
ein Magnet, der zieht.

Der Weg nimmt Kraft auf
von denen die ihn gehen,
ER lebt mit ihnen.

Auch Wolken zur Nacht
nehmen der Sonne Wärme,
Kraft tankt die Seele.

In manch eines Brust
tönt ein lautes Angstgeschrei.
Pokerface lächelt.

Der tiefe Brunnen,
spiegelt des Lebens Schönheit.
Sieh mit dem Herzen.

Ich mag die Hände,
die mich leiten und tragen,
Wärme geben sie.

Zur Erkenntnis führ
die Seelen aller Pilger
tief im Innersten.

Weit der Weg zum Weg
er geht durch Labyrinthe,
dornig die Sträucher.

Mancher trägt noch schwer
längst nach der Lastabnahme,
an ihm gings vorbei.

Wie gerne hätte ich auf den Wanderungen unseren treuen Cairn Terrier Anton dabei gehabt.Er ist ein süßer Kerl. Jeder hat ihn lieb. Nur der nicht, dem er vielleicht aus Versehen, weil er's nicht mehr anhalten konnte, vor’s Haus macht. Nun in Spanien dürfen weder in Herbergen, Hotels noch in Restaurants Hunde hinein. Für einsame Pilger, wie ich einer war, wäre solch ein Schwanz wedelnder süßer Kerl ein erfrischende, aufmunternde Abwechslung. Ich stelle mir gerade vor, wie schön es gewesen wäre, wenn nach den anstrengenden Touren Anton auf meine Pritsche gehüpft wäre, auf der ich gerade meine heiß gelaufenen Füße und Glieder abgelegt hätte. Hape Kerkeling beschreibt in seinem Buch, wie viel Mühe es ihn gekostet hat, einen abgehängten, verlassenen Hund wieder loszuwerden. Ich traf auf den Wanderungen viele liebe Hunde, obwohl in den Büchern vor streunenden Scharfen gewarnt wird. Die sind mir zum Glück nicht begegnet. Jemanden, der einen Hund dabei hatte, sah ich nicht.

Spanien ist gut erschlossen. Überall wird das Straßennetz großzügig erweitert. Wenn es keine Eisenbahn gibt, fahren bequeme, preiswerte Überlandbusse von Busbahnhöfen ab. Einer brachte mich von Bilbao nach Pamplona. Der von meinem Sohn Tilo für die erste Tour geliehener Rucksack wog etwa 12 kg. Er war nicht ideal, sodass ich mir für die 2006-Etappe einen neuen zulegte. Beide waren jedoch mit 12 kg viel zu schwer – davon an anderer Stelle.

In Bilbao waren Camino-Pilger, an ihren Rucksäcken erkenntlich, mit ausgestiegen. Einige sah ich später in Pamplona wieder und ging eine Strecke Weges mit ihnen. Die Altstadt der Provinzhauptstadt von Navarra ziert eine Zitadelle. Sie gibt einen herrlichen Blick talwärts frei. Von hier wäre ich fast rückwärts statt vorwärts gelaufen. Ich verstand die Wegweiser noch nicht und bewegte mich so einige Kilometer in Richtung Spanien, bis mich Einheimische in gekonnter Zeichensprache – zum Glück kapierte ich die - auf meinen Richtungsirrtum aufmerksam machten. Meine Tochter Ina hätte sich besser zurecht gefunden. Sie verfolgte meine Etappen auf der Karte und glaubt, auch mal zu gehen, wenn ihre Zwillinge groß sind.

Bestaunt wurde ich von Teilnehmern einer Würzburger Busgruppe, die wohl vom Bischoff begleitet wurden. Sie standen vor der Kathedrale und sangen nach den touristischen Erläuterungen fromme Lieder. Man glaubte, ich sei von Frankreich aus losgelaufen. Also den Aragonesischen Weg über den Somportpasss. Dies schlossen die im Wandern Nichterfahrenen sicher nicht nur aus meinem Rucksack, wohl eher aus dem daran baumelnden, schlecht verzurrten Schlafsack. Jeder Langlauf Pilger hätte mich gleich als Greenhorn erkannt. Ich sagte nichts dazu. Ist es schlimm, dass ich sie in dem Glauben ließ? Es lügt, wer die Unwahrheit sagt; wer die Wahrheit sagt, ohne die ganze zu offenbaren, lügt doch wohl nicht?

Es gibt viele Wege, die nach Santiago de Compostella führen. Ganz Europa ist von Ihnen durchzogen. Selbst durchs Erzgebirge verläuft einer. Man kann sie zu Fuß - das machen die meisten - begehen, mit dem Rad , dem Motorrad, dem Auto oder dem Bus befahren. Man kann den Weg auch auf des Pferdes Rücken bewältigen. Die geführte Würzburger Busgruppe war mit dem Bayrischen Pilgerbüro München unterwegs.

Überwiegend bewegen sich so ältere Damen aus aller Herren Länder. Sie werden etwas aufgemischt durch meist noch ältere Männer. Einige von diesen werden Hahn im Korb sein, wenn sie nicht von einer Dame begleitet werden. Diese Gruppen übernachten in ordentlichen Hotels, besichtigen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, besuchen die allerorts angebotenen Pilgergottesdienste, gute Restaurants. Dort berät sie ihr für alles zuständige und verantwortliche, stets höflich gestresste Reisführer. Die Bustouristen sind die bevorzugten Geschäftskunden höherer wie niedriger Preisklassen. Pilger können sich den Firlefanz zum einen überwiegend nicht leisten. Auch würden solche Mitbringsel die meist schon überpackten Rucksäcke im Rücken noch stärker belasten. Die brauchen die alten Herrschaften natürlich nicht zu tragen. Ihr Bus hält nur an schönen, unbeschwerlich zu begehenden Stellen des Jakobsweges, den sie dann geführt einige Kilometer gehen können, wenn’s denn noch geht. Wahrscheinlich überholen sie dann die schnellen Wanderer, mit der für sie charakteristischen, weithin sichtbaren Wasserflasche. Auffüllbrunnen gibt’s nahezu überall.

Ohne Gepäck zu laufen ist weniger beschwerlich. Das nutzen Reiseunternehmen. Sie bieten Wanderungen bis zum Zielort an, wo von Hotel zu Hotel das Gepäck befördert wird. Ich organisierte mich selbst und lief brav, meine Utensilien geschultert, den meist wirklich nicht einfach zu gehenden Weg. Abends belohnte ich mich dafür mit der Hotelbadewanne und einer Flasche Rotwein, die ich manchmal mit Mitwanderern in einer Bar auf der jeweiligen Plaza teilte, die ich glücklich aufgrund der Richtungspfeile und des Reisetaschenführers gefunden hatte.

Der Camino ist überwiegend gut ausgemarkt. Das enthebt jedoch keinen Wanderer, die Augen stets nach den Wegmarkierungen offen zu halten. Man kann sich trotzdem leicht verlaufen. Gelbe Pfeile oder die Jakobsmuschel weisen den Pilger den Weg zum Zielort. Manche nehmen diesen beschwerlichen Marsch auf sich, nicht nur, um in Santiago de Compostella die Urkunden entgegen zu nehmen, sondern um dort Ablass für ihre Sünden zu erhalten. Erwandern wegen des Sündenerlasses manche Pilger mehrfach den Weg, die Strapazen so noch mal auf sich nehmend? Übrigens muss man mindestens die letzten einhundert Kilometer bis Santiago gelaufen oder 200 KM mit dem Rad gefahren sein, um den Ablass zu erhalten. Beim Schreiben dieser Fakten fühle ich mich in Luthers Zeiten zurück versetzt. Der Sündenerlass – Sünde gibt’s die überhaupt? - war und ist nicht mein Grund den Weg zu gehen. Ich erfuhr erst durch’s Lesen diverser, z.T. spannender und auch kurzweiliger Bücher von diesem Freibrief. Mich interessierte der Weg, wie schon bemerkt, als solcher. Die Menschen, die ihn gehen, die Strapazen, die alle durchmachen müssen und - ob es was Besonderes auf ihm zu erfahren gibt, wie einige Schriftsteller behaupten. Genannt seien Paulo Coelho, Shirley MacLaine und neuerdings noch Hape Kerkeling.

Sowohl am Ankunftsort als auch in Pamplona, hier in einem Karmeliterinnenkloster, ließ ich mir einen Stempel in meinen Pilgerpass drücken, versehen mit dem entsprechenden Tagesdatum. So hatte ich wie jeder Pilger den Nachweis – und auf ihn sind sie alle ganz scharf; sonst ist man züchtig-zurückhaltend – wann ich wo gewesen bin. Meinen Pilgerpass erhielt ich gegen eine bescheidene Spende über Rohrdorf/Bayern. Dort ist eine der deutschen Jakobusgesellschaften. Im übrigen ist das Internet voller Erfahrungsberichte. Auch finden sich da Adressen von Pilgern, die gerne Auskunft geben. Ich machte davon keinen Gebrauch. Gleichwohl finde ich’s lobenswert und für viele sicherlich sehr hilfreich. Für mich war es spannender, unvoreingenommen loszutippeln.

Nach einer Pensionsübernachtung in Pamplona – man gönnt sich ja sonst nichts – wanderte ich 5 km aus der Stadt heraus und traf auf die erste Herberge In Cizur Menor. Sie wird von Maltesern geführt, ist sauber und hübsch, direkt neben einer alten Kirche gelegen. Unsere Gruppe, ich lief das erste Stück mit einem Studenten Paar aus Österreich, bekam dort keinen Stempel, da wir hier nicht übernachteten. Strenge deutsche Sitten. In anderen Orten erhielt ich bereitwillig den ersehnten Nachweis in meine Pilgerpass, ob ich in der Herberge schlief oder nicht. Aus den Beschreibungen von Vorläufern habe ich entnommen, dass nicht alle Pilgerherbergen, wie ich mich dann auch unterwegs überzeugen konnte, so proper sind wie diese deutsch geführte. Ich glaube alle Herbergswirte, von Übernachtungsstätten, die von Organisationen gesponsert werden, übernehmen freiwillig jeweils über mehrere Wochen oder gar Monate kostenlos die Bewirtungsaufgabe. Eine Kanadische Herbergswirtin sagte mir an einem anderen Ort 2006/1, sie gebe auf diese Art dem Weg und seinen Pilgern das zurück, was der Camino ihr Gutes gegeben hätte. Ein von Pilgern als deutscher Feldwebel bezeichneter Herbergswirt, 71jährig aus Aachen stammend, sagte mir, er habe die strengen Auswahlkriterien erfüllt. Deshalb dürfe er nun zwei Wochen lang für die Herbergsorganisation verantwortlich sein, die Betten richten, saubermachen, kassieren, abends Zuschließen und morgens die Langschläfer rausschmeißen. Bislang übernachtete ich nur einmal in einer Herberge. Ich mag es nicht, wenn andere neben mir schnarchen. Mir missfällt die Unruhe, der Mief, wenn man an der Dusche anstehen muss, die Toiletten dauernd besetzt und verschissen sind. Daher zog ich Hotels zum Übernachten vor, obwohl auch dort, trotz manchmal heftiger Preise, Sauberkeit ein chinesisches Fremdwort zu sein schien. Gleichwohl bleibt einem nichts anderes übrig als die Herbergen zu nutzen, für 4 bis 6 € die Nacht, wenn man über Wochen den Weg geht.

Der neugeborene Stempelfreak EN holte sich am 27.8.2005, nach der Übernachtung in Bilbao, den ersten Eindruck in seinen Pilgerpass. Der von Pamplona trägt das gleiche Datum. Apropos trägt: Tilos Rucksack hatte ich lt. Flughafenwaage mit 12,5 kg voll gestopft – im wahrsten Wortsinn. Ich stellte nach der zweiten Fahrt eine Packliste zusammen, auf die ich im Vorspann verweise. Aufgeschnallt war der Schlafsack, der jedoch dauernd verrutschte. Ihn faszinierte offensichtlich die bereits erwähnten Busreisenden aus Würzburg. Dies Hängegepäck schleppte ich all die Tage mit, obwohl ich es nicht brauchte. Manchmal war ich nahe dran, ihn zu verschenken oder in einem Hotel liegen zu lassen. Ich tat’s nicht. Sogar bei der zweiten Tour hatte ihn dabei, gab ihn aber dann doch irgendwann per Post heimwärts auf. Für die nächsten Reisen kaufte ich inzwischen (ich schreibe dies nach der zweiten Fahrt aus dem Gedächtnis) einen Seidenschlafsack. Er wiegt 200 gr., statt 500 wie der, den ich nun wieder auf dem Dachboden nahe den Weihnachtsutensilien verstaute. So denke ich auch im kalten Dezember bzw. Januar an die tollen Erlebnisse des Caminos.

Die Sonne brannte 2005 unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel. Das Thermometer stieg damals täglich auf 42 Grad. Unverdrossen marschierte ich unbehütet, ohne Sonnenbrille, die lehne ich ab, durch die Mittagshitze. Zum Glück habe ich volles Haar. Auf der zweiten Anschlusstour traf ich einen Amerikaner. Er lief trotz gleißender Hitze und Vollglatze ohne Hut. Ihm mache das nicht, sagte er und verwies auf das von ihm dauernd aufgestrichene Sonnenschutzmittel mit Faktor Fünfzig. Keinen Tag war ich vor 9 – 10 Uhr losmarschiert. Erfahrene Pilger, ich fühle mich bis heute nicht als solcher, gehen zwischen 5 und 8 Uhr auf die Piste. Teilweise baumelt an deren Rucksack eine Jakobsmuschel, galcisch „vieira“. Sie ist aus Plastik, sieht aber ziemlich echt aus. Etappenläufer wie ich, schreiben mit Filzstift ihre Routendaten in sie hinein. Mich erinnert sie an das Shell-Emblem. Der niederländische Ölkonzern hatte bei der Auswahl dieses Gestalt gewordenen Piktogramm-Zeichens nicht die Finger im Spiel. Denn der Sage nach soll ein junger Mann, es war natürlich ein Adeliger, ungestüm zu dem vorm Strand liegenden Schiff mit dem Leichnam des Jakobus geritten sein. Das war also 44 n.CH.. Dabei versank er samt Tier und Sattel in der Flut. Santiago half ihm aus der Klemme. Doch der Gerettete war voller Muscheln (wie Sattel und Pferd aussahen, ist nicht überliefert). Seit dem tragen die Pilger als Schutz vor Unbillen dieses Emblem. Bei mir daheim hängt eine kleine am Band an der antiken Gebetstafel mit dem Text: „Om mani padme hum“. Sie brachte ich von einer wunderschönen Fahrt aus Tibet mit. Dort übrigens wurde ich auf den Jakobsweg gestoßen. Damit schließt sich für mich an dieser schwarzen Holztafel der Kreis beider großen Religionen.

Ich erwähnte gerade die kleinen Umhängemuscheln. Daneben gibt’s gelbe Ansteckpfeile. Weder mit dem einen noch dem anderen schmückte ich mich beim Gehen. Postkarten, die den Wegverlauf aufzeigen, schickte ich an meine Frau, meine Kinder und meine vier Enkel, an mein Büro. An Freunde Kirchenmotive, Bilder vom hl. Jakobus. Stierkampfszenen waren nicht unter den Heimnachrichten. Sie verabscheute ich ebenso, wie die für mich unverständlichen, dauernd im Fernsehen laufenden Stierkampfsendungen. Das TV schalte ich nur selten in den Übernachtungsstätten ein. Ich war nach den anstrengenden Wanderungen von bis zu 25 km pro Tag zu müde. In den viereinhalb reinen Wandertagen der ersten Fahrt von 05 schaffte ich mal gerade rund achtzig km einschließlich des Rumlaufens in Bilbao und Pamplona. Statt Jakobsmuschel und Pfeilen hängten andere an ihre Rucksäcke emaillierte Trinkbecher. Mir wäre das zuviel, da direkt aus der Flasche oder der hohlen Hand zu trinken einfacher und leichter ist. Obwohl die Becher nicht aus deutscher Produktionen stammten, dafür waren sie zu leicht, was ich als Sohn eines Emaillewarenfabrikanten und Vater von Ulf, der diese Becher mal vertrieb, feststellte.

Die nachfolgende Gedichte beschreiben Szenen, die mich beim Weiterwandern zum Notieren anregten. Ich nahm den Weg mit seinen Wagenspuren wahr, sah, wie eine Echse ihn querte, wie neben ihm ein Geröllhang abrutschte, schaute in einen Brunnen. Vor der Passhöhe des Puerto del Perdón mit den blechgeschnittenen Plastiken und den Windrädern, ist ein gefasster Wasseraustritt. Dessen Vorplatz ist mit einem Steinstrahlenkranzmuster gepflastert. Das hielt ich in vorstehenden Fotos und nachstehenden Gedichten fest. So finden sich nun in den Gedichten die Mosaiksteinchen ebenso wieder wie der Eindruck des Bergrückens „wo der Weg der Winde mit dem Weg der Sterne zusammentrifft“.

Über einen Geröll übersäten Pfad ging’s nach Murutábal abwärts. Ich kann nachvollziehen, dass manche Pilger sich die Beine brechen, Sehnenzerrungen haben, abstürzen. Mir bleibt dies auch zukünftig hoffentlich erspart. Glücklich war ich im Dörfchen an der Bergsohle ein sauberes Hotel mit guter Küche zu finden. Zuvor hatte ich an einer Kneipe, die heißen hier alle "Bar", mir eine eisgekühlte Cola gezogen. Sie trank ich auf der vorm Haus stehenden Bank in zwei Zügen leer. Man kann auf dem Weg nicht genug Flüssigkeit zu sich nehmen. Bei der Hitze schwitzte ich eine Menge aus. Die Hände schwollen an. Am Rucksack hatte ich deshalb zum Gesicht abwischen ein Gästetuch festgebunden. Das war sehr nützlich. Doch leider nutzte ich den Aufhänger als Befestigung. Der riss, unbemerkt flatterte dann das Schweißtuch des Edgars von dannen. Eine Familie aus Hessen nächtigte in dem kleinen Hotel , das auch über einen Schlafsaal verfügte, ebenso wie ein Pärchen aus Frankreich, eine Deutsche und der Schweitzer Mike, der in seinem unnachahmlichen Dialekt bei Marie-Theres Anschluss suchte. Es gab eine lange in die Nacht hinein andauernde Unterhaltung. So kam ich morgens wieder mal spät los, musste in die Mittagshitze hinein marschieren.

Mosaiksteinchen
geben ein Gesamtbild ab.
Trennungen lösen.

Erkenn die Mitte
wie die Sonne im Zentrum.
In dir liegt das Ziel.

Ein Steinstrahlen Kranz
zeigt zum runden Mittelpunkt.
Finde dein Zentrum.

Steinig ist der Pfad
neben dem schmalen Erdkamm,
die Echse quert ihn.

Abstand schafft das Rad,
auf der Achse ruht die Last.
Den Weg juckt das nicht.

Ein Geröllhang rutscht -
nun ists Ende der Anfang –
bei dem Fehltritt ab.

Mit dem Sehen klappts,
hörst du mit den Augen gut,
wiege die Steine.

Auf dem weiten Weg
schau vor dich, nicht zum Ende,
so erschrickst du nicht.

An der Passhöhe
kreuzt sich der Weg der Winde
mit dem der Sterne.

Neue Eindrücke
gewinnst du, gehst du anders.
Such dir deinen Weg.

Jeder Weg lehrt uns,
das keiner gerade ist
viele gehn nach Rom.

Fast jeder Abzweig
fordert eine Entscheidung,
wer denkt macht Fehler.

Wer glaubt fest zu stehn
weiß, Hochmut kommt vor dem Fall.
Rechne mit Regen.

Vorm Meer schützt der Fels,
auf ihn bauen die Menschen.
Die Brandung zermürbt.

Ich trag meine Last
wie jeder die seine trägt.
Mut gibt das Gebet.

Endlos die Weite,
Felder bis zum Horizont,
Sonne brennt, zermürbt.

Wir suchen Sonne
doch vergessen die Wüste,
treten die Erde.

Wer Brot essen will
soll nicht alles zubauen,
Strassen fressen Land.

Über den Feldern
flimmert die Sommerhitze,
sieh das Kreuz, es mahnt.

Karg, herb die Landschaft
mit wechselndem Farbenspiel, -
doch voller Zartheit.

Viel Sonne schadet,
dann sehnt man sich nach Regen.
Achte die Waage.

Erkenne dein Ziel,
geh darauf zu, Schritt vor Schritt,
morgen ist morgen.

Ballast abwerfen,
und wenn es noch so schwer scheint,
lernt uns das Leben.

Du kannst bewegen,
nur wenn du dich auch bewegst,
vertrau deiner Kraft.

Menschen aus allen Erdteilen, aller Alterstufen wandern auf dem Camino es sollen 6 Millionen pro Jahr sein. Studenten trifft man ebenso wie Rentner weit über achtzig. Jeder schultert seine Last. Erträgt ohne Murren Hitze, Trockenheit, Durst, Blasen, Zerrungen, Schmerzen, Regen, Kälte, kurz alle Strapazen, die der Weg so drauf hat. Ich lernte: Schau vor dich, nicht zum weiten Ziel, so bewältigst du die Strecke einfacher. Jeder hatte irgendwo ein Wehwehchen, die er tapfer erträgt. Blasen waren die kleinsten davon. Jeder hat was für alle Fälle dabei, Salben und Pillen, mit denen sich die Pilger bereitwillig aushelfen. In den meisten Orten finden sich Apotheken, in denen man sich mit Fehlendem versorgen kann. Die Ärzte und Krankenhäuser sind auf Pilger eingestellt. Man sollte jedoch die entsprechenden Versicherungen vor Reiseantritt abschließen, auch an einen Rückholdienst denken. Kreuze am Weg weisen da und dort auf die Vergänglichkeit des Menschen hin. Wir vergessen zu leicht, dass wir mit der Geburt auch den Tod gewinnen.

An Weggabelungen hatte ich mich für den einen oder anderen zu entscheiden. Ich nahm den Umweg zur berühmten romanischen Kirche Eunate in Kauf – und bereute es nicht, s. die vorstehenden Fotos. Hier treffen sich der Aragonesische und der Navarrische Weg.

Die Kirche des Tagesziels von Puenta la Reina ziert ein Kreuz in Y-Form. Es stammt aus dem Rheinland. Ich vermerkte es voll Freude, absolvierte ich doch einst in Bonn am Rhein mein erstes juristisches Staatsexamen. Ein gern genommenes Fotomotiv des romantischen Ortes ist die im 11. Jahrhundert extra für die Pilger wohl nicht nur für sie, gebaute Brücke über den Arga. In einem kleinen Hotel, an einer schattigen Gasse gelegen, warf ich gerne meinen Ballast, den Rucksack zur Nachtpause ab. Hier traf ich Großeltern aus NRW wieder, die mit ihren halbwüchsigen Enkeln unterwegs waren. Könnte ich mir auch vorstellen, wenn ich mal achtzig bin. Sie waren in meinem Alter, liefen einen Teil der Strecke, nutzten dann jedoch den PKW. Immer wieder war es spannend, Mitpilger von Vortagen zu treffen. Gerne tauscht man sich aus, trinkt einen Kaffee zusammen oder einen der preiswerten, doch guten Rotweine.


Ein offener Platz,
den die Kinder erhellen;
schön ist der Süden.

Schon am kleinen Kind
sieht man dessen Charakter,
das Schicksal prägt auch.

Einer nutzt Muskeln,
einer gebraucht seinen Kopf,
man tut was man kann.

Ist einer gut drauf
gibt ers anderen weiter;
Gähnen steckt auch an.

Jugend weisen wir
den zu beschreitenden Weg,
der Pfadfinder sucht.

Jeder entscheidet
über die eigene Last,
mancher verschätzt sich.

Auch der Fensterplatz,
der den ganzen Platz abdeckt,
sieht nicht in ein Herz.


Von Puenta la Reina bis Estella sind es 21 km. Sie lief ich wieder bei voller Hitze. Hier musste ich die erste Etappe beenden. Ein Flieger wartet nicht. Am Stadtrand fand ich ein Hotel, in dem es morgens das übliche Frühstück gab, süße Hörnchen mit Kaffee. 2006 knüpfte ich hier an die nun abgeschlossene erste Pilgertour an. Den Ankunftsabend genoss ich in Begleitung von Mike und Tecla in einem Restaurant an der Plaza. Viele Kinder spielten dort unter den wachsamen Augen von Eltern oder Großeltern. Es war immer ein Genuss für mich, an dem bunten, fröhlichen doch lärmenden südländischen Treiben beobachtend teilnehmen zu können, 2006 war ich mit Helga vor der Folgewanderung bei meinem Schulfreund Hajo und Helga in Terracina/Italien. Das abendliche Leben in dortigen Orten unterscheidet sich kaum von dem in Spanien. Ich genoss es. So füllten meinen Taschenblock weitere Gedichte. Übrigens kann ich hervorragend bei Lärm, wenn jemand vorne redet oder beim Fernsehen abschalten und schreiben. Die besten Gedanken kommen dabei. Manchmal baue ich in sie noch gerade gehörte Worte oder Sätze mit ein. Sie passen dann irgendwie dazu, wie herangezaubert. Auf dem großen freien Platz ließ ich das Erlebte Revue passieren. Eindrücke verfestigten sich, vom Kuli notiert.

Der Trott des Tages
lebt von Alltäglichkeiten,
der Geist von Aktion.

Einfach ist der Gang
geht man dem Ziel entgegen,
zurück ist es schwer.

Stets vermeide es
einen Weg zweimal zugehn.
Die Last wird schwerer.

Dich findet sie nicht,
die Mitte. Suche du sie.
Alles ist in uns.

Triff den Rhythmus, den
Einklang von Natur und dir,
das ist Erkennen.

Wenn das Licht erlischt
steht nicht immer eins bereit.
Rechne mit der Nacht.

Nie hängt ein Himmel
für dauernd voller Geigen
leb auch im Alltag.

Genieß das Heute,
morgen kann es anders sein,
das ist auch gut so.

Wer trotz Stress und Druck
die Fröhlichkeit beibehält
hat mehr vom Leben.

Auf dem langen Weg
erfahr die Weite der Welt.
Im kleinen Alles.

Schau vor den Schatten
dann überholt er dich nicht.
Bewahr dir Träume.


Am nächsten Morgen wollte ich ausruhen. Ich kaufte leichte Mitbringsel für daheim. Doch das Laufen fehlte mir. So ging ich Gepäcklos einige Kilometer schon in die Richtung, die ich 2006 eigentlich gehen wollte. Bis zur Weinkellerei „Bordegas Irache“ kam ich. Sie wird in jedem Reiseführer beschrieben. Müde Pilger können hier nicht nur ihre Wasserflaschen auffüllen, sie können sie auch mit Rotwein vollaufen lassen oder sich, der mittels Hahnumdrehung unbeschränkt kostenlos fließt. Zwei deutsche Studentinnen traf ich dort. Eine kam aus Thüringen, die andere aus Niedersachsen. Sie führte der Weg zufällig zusammen. Eine von ihnen hatte an dem Weltjugendtag in Köln mit Papst Benedikt den XVI teilgenommen. Wir unterhielten uns angeregt über ihre Motive, den Jakobsweg zu laufen, sprachen über Gott und die Welt. Es war ein wunderschöner Camino-Teil- Abschied. Mir tat es mächtig leid, nicht weiter laufen zu können. An meinem 63. Geburtstag fuhr ich, begleitet von den lieben Handy übermittelten Wünschen meiner Familie, mit dem Bus zurück nach Bilbao. Dort besuchte ich als Krönung der ersten Tour das eingangs beschrieben Guggenheim Museum.

Steine rechts und links
begrenzen unseren Weg,
klein ist der Spielraum.

Sieh diese Blume,
farbig betupft sie den Rand
in karger Landschaft.

In einer Masse
stößt keiner aneinander.
Im Krieg will man das.

Ein Limit fordert
Staub, Strecke, Hitze und Durst.
Geist besiegt den Leib.

Sag „Bon Camino“
zum anderen Wanderer,
Einsicht bringt voran.

Wer durchhielt, ankam,
schaut mit anderen Augen,
schätzt des Weges Kraft.

Anspannung zeigt uns
Herausforderung fürs Ich,
ist des Weges Ziel.

Die Sonne machte
meinem Schweinehund Beine,
nun braucht er Ruhe.

Die letzten Gedichte formulierte ich im Garten meines sächsischen Heimatdorfes Bockau. Über meiner Sonnenliege zog in 10tausend Meter Höhe ein Ferienflieger Richtung Süden Kondensstreifen, während an meinem inneren Auge die zu kurze Pilgerreise vorbeizog. Es stand für mich fest, 2006 sollte sie fortgesetzt werden. Mich hatte der Weg voll in den Bann gezogen.
In Wartehallen
sprechen stumme Gesichter
seltsame Worte.

Aus großer Hitze
katapultiert ins Kalte.
Wege leiten uns.

Ein Flieger weckt mich
weit oben im Himmelsblau
fernab vom Süden.

Den Jet mit Fernziel
begleiten die Gedanken
zurück ins Warme.

Weiß der Schmetterling
über satt grüner Wiese.
Kennt er die Lösung?

Lasten bauen auf,
Erinnerungen bleiben,
Eindrücke prägen.

Nächstens gehts weiter,
denn des Weges Kraft zieht mich.
Ich bin wild auf ihn.